Wir hören unsere städtische Umwelt und das was wir auditiv erleben betrifft uns in vielerlei Hinsicht. Es betrifft uns nicht nur, weil es in manchen Fällen belästigend oder sogar gesundheitsschädlich sein kann, sondern vor allem auch, da wir uns durch den Klang in unserem jeweiligen Umfeld zurechtfinden. Der Klang der Stadt ist Ausdruck bestimmter Gegebenheiten, sozialer Verhältnisse oder auch kultureller Zugehörigkeit. Er ist sinnbehaftet und bedeutsam für uns. Er ist zugleich Teil, Bedingung und auch Merkmal städtischen Lebens und so vielschichtig und facettenreich wie dieses selbst.
Für die städtische Planung ergibt sich hieraus ein großes Potenzial, das noch nicht ansatzweise ausgeschöpft ist – mit Ausnahme der Lärmbekämpfung wird der Klang unserer Umwelt bislang praktisch nicht bewusst gestaltet. Es besteht darin, für einen bestimmten Ort, für eine Situation, eine Nutzung und vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund einen stimmigen klanglichen Entwurf zu erarbeiten und für das angestrebte auditive Erleben die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Dabei kann alles, was das auditive Erleben vor Ort bedingt als mögliches Gestaltungsmittel betrachtet werden.
Doch wie lässt sich das Auditive in die heutige Planungs- und Gestaltungspraxis integrieren? In der städtischen Planung ist gerade in den letzten Jahren das Interesse an der auditiven Dimension und den diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten stark gestiegen. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Wunsch nach einer Art Werkzeugkasten oder nach einem Maßnahmenkatalog geäußert, durch die der Klang mit berücksichtigt werden kann. Doch so einfach ist es leider nicht. Denn das klangliche Entwerfen und die Integration des Auditiven hängen nicht allein vom passenden Instrumentarium ab. Vielmehr muss der städtische Klang als Gestaltungsgegenstand kultiviert werden. Es ist also erforderlich kollektive Vorstellungen, Überzeugungen, Paradigmen, Routinen, Handlungsweisen, Gepflogenheiten sowie auch Konventionen hinsichtlich der auditiven Dimension herauszubilden. Die Kultivierung des städtischen Klangs als Gestaltungsgegenstand ist ein Vorgang des Aushandelns und Übereinkommens.
Der US-Soziologe Howard S. Becker bezeichnet in dem der Gestaltung verwandten Bereich der Kunstproduktion ein solches Gefüge aus Übereinkünften und kollektivem Handeln als Kunstwelt. Er versteht darunter Netzwerke von Individuen, die in elaborierten Formen arbeitsteilig miteinander kooperieren, um Kunst zu erzeugen. (vgl. Becker, Howard S.: Art worlds. Berkeley: 2008, S. 1ff) Erst durch das kooperative Handeln der unterschiedlichen, an der Produktion beteiligten Akteure wird eine künstlerische Praxis hervorgebracht und die Kunstwelt begründet. Beckers französischer Kollege Pierre Bourdieu nennt in Die Regeln der Kunst ebenfalls das Kollektiv als ermöglichenden und zugleich begrenzenden Handlungsrahmen des einzelnen Künstlers. (vgl. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Frankfurt a. M.: 2001, S. 371ff) Bourdieu verwendet den Begriff des Kunstfeldes als Bezeichnung für das Beziehungs- und Handlungsgeflecht des Kollektivs, das sich u. a. aus den unterschiedlichen Künstlern, Käufern oder auch Vermittlern zusammensetzt und in dem Wissen, Vorstellungen und Werte geteilt werden. Becker und Bourdieu stimmen darin überein, dass die künstlerische Praxis in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis mit der jeweiligen Kunstwelt bzw. dem jeweiligen Kunstfeld steht und ohne diese(s) erst gar nicht entstehen und bestehen kann.
Obgleich es bei Becker und Bourdieu um das Kunstschaffen geht, lassen sich aufgrund des universellen Geltungsanspruchs beider Theorien die von ihnen formulierten Annahmen leicht auf den Bereich der städtischen Planung und Gestaltung übertragen. Ihren Überlegungen folgend ist davon auszugehen, dass auch die Praxis des städtischen Planens und Gestaltens über einen, der Kunstwelt bzw. dem Kunstfeld ähnlichen Bezugsrahmen verfügt, der sie nicht nur prägt sondern der konstitutiv für sie ist. Zu diesem Bezugsrahmen lassen sich beispielsweise geteilte Vorstellungen darüber zählen, was ein gelungenes städtisches Leben ist oder Traditionen, Kenntnisse und Prinzipien bezüglich der Organisation von Städten. Auch Routinen im Umgang mit Hilfsmitteln, geregelte Zuständigkeiten, erprobte Kommunikationsweisen und -wege sind Teil davon. Erkennbar sind diese unterschiedlichen Aspekte vor allem in den Handlungen der am Planungs- und Gestaltungsprozess direkt und indirekt Beteiligten.
Für die Integration des Auditiven in die städtische Planungs- und Gestaltungspraxis ist die Bedingtheit durch den Bezugsrahmen äußerst bedeutsam. Denn sie kann nur gelingen, sofern neben der Praxis ausdrücklich auch der sie tragende Bezugsrahmen entsprechend der Anforderungen des Auditiven weiterentwickelt und transformiert wird. Genau dieser gleichzeitige und wechselseitige Entwicklungs- und Transformationsvorgang von Praxis und Bezugsrahmen ist mit der Formulierung Kultivierung des städtischen Klangs als Gestaltungsgegenstand gemeint. Der Begriff Kultivierung betont dabei nicht nur das dynamische Moment sondern auch den Gedanken des Kollektiven sowie das mitunter Interessengebundene und Zielgerichtete.
Eine zukünftige Kultivierung des städtischen Klangs als Gestaltungsgegenstand, verstanden als dieser gleichzeitige und wechselseitige Vorgang, ginge weit über ein bloßes Erzeugen von speziellen Werkzeugen und Bereitstellen einzelner Musterlösungen hinaus. Viel grundlegender fände zunächst eine allgemeine Sensibilisierung hinsichtlich der auditiven Dimension statt. Daneben würden sowohl spezielles Fakten- als auch Erfahrungswissen generiert, als auch klangbezogene Methoden entwickelt. Im Zuge der Kultivierung bildeten sich außerdem allmählich klangliche Archetypen, Leitbilder und ggf. sogar Stile heraus. Auch Organisations-, Kompetenz- und Legitimationsfragen im Zusammenhang mit der Gestaltung des städtischen Klangs würden im Rahmen dieses Prozesses geklärt. Nicht zuletzt würden schrittweise die für eine erfolgreiche auditive Planung und Gestaltung notwendigen rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen geschaffen.
Die Kultivierung des städtischen Klangs als Gestaltungsgegenstand ist ein fortlaufender und komplexer Prozess des Bildens, Aushandelns, Anpassens, Modifizierens, Weiterentwickelns und Verfeinerns. Sie ist ein langfristiger und sehr umfassender Vorgang. Trotz deren Komplexität sowie Langfristigkeit ist sie jedoch nicht nur ein lohnendes sondern für das Erlangen einer Handlungsfähigkeit bezüglich des Klangs und eine erfolgreiche Integration des Auditiven letztlich notwendiges Unterfangen. Im Idealfall kann dieser Kultivierungsprozess sogar ganz neue Wege der Gestaltung für die Planung im Allgemeinen eröffnen.
Die Kultivierung des städtischen Klangs ist Thomas Kusitzkys Promotionsprojekt. Er untersucht in seiner Arbeit, welche die notwendigen Voraussetzungen für eine Integration des Auditiven in die städtische Planungs- und Gestaltungspraxis sind. Kusitzky ist Doktorand der Fakultät Architektur an der Bauhausuniversität Weimar und Stipendiat der Thüringer Graduiertenförderung. Er wird von dem Stadtsoziologen Prof. Dr. Frank Eckardt betreut.